Fucking Åmål - Lukas Moodysson / Schweden 1998
Gesichtet von alex, judy, jay, sabrina, ksr, stb am 27.03.04

imdb-Info

"In its quiet, intelligent, understated way, this film loves teenagers; most teen movies just use them."
Roger Ebert, Chicago Sun-Times

"Fucking Åmål hasn't the polish of its hipper American counterparts; it has something far more important, and that's a heart."
Anthony Quinn, Independent

Inhalt (von stb)
Åmål - eine verschlafene Kleinstadt in Schweden. Nie passiert etwas wirklich aufregendes, und Trends kommen hier erst an, wenn sie schon längst keine mehr sind. Ein Albtraum für die heranwachsende Jugend, die zu alt für den Spielplatz aber zu jung für den rettenden Führerschein ist. Kein Wunder, dass die lebenshungrige Elin (Alexandra Dahlström) entsetzlich gelangweilt ist. Von ihrer Umgebung als cool respektiert und als Schlampe verschrieen, träumt die blonde Schulschönheit von einem Leben als Model oder berühmte Schauspielerin. Ganz anders sehen die Sehnsüchte von Agnes (Rebecka Liljeberg) aus. Das stille Mädchen hat nach fast zwei Jahren noch immer keine Freunde in der neuen Stadt, fühlt sich von seinen Eltern missverstanden und ist hoffnungslos in die unerreichbare Elin verliebt. Aber Agnes' ungewollte Geburtstagparty und eine dummer Scherz verändern das Leben beider Mädchen...

Weitere Infos (von stb)
Mit seinem ersten abendfüllenden Spielfilm
gelang Regisseur und Drehbuchautor Lukas Moodysson 1998 in seiner Heimat Schweden ein kleines Wunder: Fucking Åmål versenkte James Camerons Titanic an den Kinokassen und wurde zum erfolgreichsten schwedischen Film aller Zeiten. Das Teenager-Drama gewann zahlreiche Preise auf internationalen Festivals (u.a. auf der Berlinale) und wurde von Publikum und Kritik auf der ganzen Welt gefeiert - für seine präzise und gefühlvolle Charakterzeichnung, seine Ehrlichkeit, seine Ernsthaftigkeit, seinen Humor und die Fähigkeit, Menschen jeglichen Alters in seinen Bann zu ziehen.

Rezension (von stb)
Bei Filmen über Jugendliche, bei der amerikanischen Highschool-Komödie genauso wie bei ihrem europäischen Pendant (das sie allzu oft nur nachahmt), gibt es nur selten Überraschungen. In aller Regel folgen sie mit bestenfalls marginalen Variationen entweder Schema A oder Schema B.
Schema A: Der umschwärmte Junge entdeckt durch irgendwelche widrigen Umstände notgedrungen das Schulmauerblümchen, das durch eine unvorteilhafte Frisur (Dutt) und eine dicke Brille als hässlich gekennzeichnet ist, und verwandelt es vom hässlichen Entlein in einen schönen Schwan, indem er ihr die Brille abnimmt und sie überzeugt, ihr Haar offen zu tragen. Zum Schluss tanzen beide zusammen auf dem Abschlussball und leben glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. Natürlich funktioniert die Geschichte im Prinzip auch mit vertauschten Geschlechterrollen, dann ist es aber eher der Schulrebell in den zerschlissenen Klamotten, der sich plötzlich von einer anderen Seite zeigen darf. Paradebeispiel: Eine wie Keine.
Schema B: Die Pubertät als Grundlage für jede Menge oft geschmacklose und selten wirklich lustige Witze über die hormonell bedingten Irrungen nach Sex gierender zumeist männlicher Protagonisten, wobei Körperflüssigkeiten üblicherweise zumindest eine Art heimliche Hauptrolle beanspruchen. Paradebeispiel: American Pie.
Abweichungen von diesem Prinzip, gar eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen des Erwachsenwerdens, findet man leider nur allzu selten. Was also soll sich schon hinter dem schwedischen Film eines weitgehend unbekannten Regisseurs verbergen, den der deutsche Verleih als "die Antwort auf American Pie" anpreist? Im Fall von Fucking Åmål nicht das, was der Werbespruch einem Glauben machen soll, obwohl er in der Tat kaum treffender hätte gewählt werden können. Denn Lukas Moodysson hat mit seinem einfühlsamen Drama tatsächlich eine Art Antwort auf das triste Einerlei des Teenager-Films gegeben. Er hat einen Gegenentwurf konzipiert, der Jugendliche nicht nur als Material für einen Schmachtfetzen oder billige Witze auf ihre Kosten betrachtet, sondern sie als Personen ernst nimmt, über die es etwas zu erzählen gibt. Das macht der Film so selbstverständlich und kommt dabei so unspektakulär daher, dass es einem gar nicht auffallen würde - wäre man nicht gänzlich anderes gewohnt. Umso augenscheinlicher ist der Unterschied zwischen diesem kleinen Juwel und der Konkurrenz, da die Handlung durchaus vergleichbar ist: Agnes ist die unbeliebte Außenseiterin, die sich in das hübsche, vielbegehrte Mädchen verliebt. Es gibt einen Nebenbuhler, Demütigungen und wilde Partys mit entsprechendem Alkoholkonsum. Und am Ende finden Agnes und Elin trotz aller Widerstände und Zweifel zueinander. Daraus ließe sich - würde man aus einem der beiden Mädchen einen Jungen machen - auch eine harmlose Geschichte nach Schema A machen. Aber Agnes trägt weder Dutt noch eine dicke Brille, ihre Andersartigkeit ist komplexer. Und Elins kurzzeitiger Freund Johan ist kein schleimiger Fiesling, sondern eigentlich ein netter, wenn auch etwas dummer Junge, mit dem man Mitleid haben muss. Fucking Åmål zeigt keine Klischeefiguren, sondern echte Charaktere, deren Gefühle, Ängste und Hoffnungen so präzise beobachtet und so behutsam dargestellt werden, dass der Film eine in manchen Szenen schon fast schmerzhafte Authentizität erreicht. Wer sich hier nicht in seine eigene Jugend zurückversetzt fühlt, kann eigentlich nicht von dieser Welt sein.
Die realistische Wirkung des Films verdankt sich auch dem dokumentarisch anmutenden Inszenierungsstil, der durch schnelle Zooms, Kameraschwenks und ein oft grobkörniges Bild gekennzeichnet ist, der ansatzweise an Dogma erinnert, jedoch nichts von dem sinnentlehrten Manierismus eines Lars von Trier erkennen lässt. Tatsächlich arbeitet Moodysson völlig "undogmatisch" und scheut sich auch nicht, ganz genretypisch Rock- und Popsongs einzusetzen. Unvergesslich, wie die beiden Mädchen sich zum ersten Mal richtig küssen und dazu Foreigners "I wanna know what love is" anschwillt.
Zu keinem Zeitpunkt verrät Moodysson seine Charaktere für ein paar billige Lacher. Er zeigt ihre Stärken genauso ehrlich wie ihre Schwächen, lässt auch seine Sympathieträger schmerzhafte Fehler und Grausamkeiten gegenüber sich selbst und anderen begehen. Nicht zuletzt wird auch das schwierige Verhältnis zwischen Eltern und heranwachsenden Kindern am Beispiel von Agnes' Familie vorurteilsfrei und realistisch dargestellt. Den Erwachsenen mangelt es nicht an gutem Willen, nur an der Einsicht, dass ihre Perspektive auf die Probleme ihrer Kinder zu verschieden von deren eigener ist, um ihnen in allen Situationen gute Ratschläge geben zu können. In einer ergreifenden Szene versucht Agnes' Vater sie mit der Erkenntnis zu trösten, dass sich alles ändert - so wie auch er bei seinem 25jährigen Klassentreffen "derjenige war, der es zu etwas gebracht hatte". Agnes starrt nur traurig vor sich hin und erwidert: "Woher soll ich wissen was in 25 Jahren ist? Ich will lieber jetzt glücklich sein."
Am Ende findet Agnes ihr Glück, wenn Elin sich schließlich dazu durchringt, zu ihren Gefühlen zu stehen, und die beiden ihr mit einem Augenzwinkern als wortwörtliche Umsetzung inszeniertes Coming-out erleben. Ein Happy End, dass umso schöner ist, weil es eine wirklich glaubhafte Geschichte hoffnungsfroh beschließt. Und niemand musste dafür seine Brille abnehmen.
Das wunderbare Drehbuch, das perfekt die Balance zwischen lustigen und traurigen Momenten findet, und das exzellente Spiel der Darsteller, allen voran Rebecka Liljeberg und Alexandra Dahlström, deren Ausdrucksstärke und Präsenz viele ältere Kolleginnen vor Neid erblassen lassen muss, machen Fucking Åmål zu einem wunderbaren und bewegenden Filmerlebnis, wie man es nicht allzu oft genießen darf - nicht nur in diesem Genre.